Helmut Lang Wien, Eine gelungene Osmose zwischen Form und Inhalt, Architektur & Bauforum 1/1997, Claudia Orben
Claudia Orben / Architektur & Bauforum 1/1997Im Anfang war die Bekleidung, meint Loos; Gustav Pichelmann baut ihr in der Seilerstätte eine adäquate Hülle.
Beides bietet Schutz. Das Kleid direkt und das Haus umfassend. Auch zahlreiche etymologische Verwandtschaften, wie die doppelsinnige Bedeutung des Wortes Decke, demonstrieren das intime Verhältnis von Gewand und Architektur und Mode. Kompliziert, da wertend, wird dagegen das Verhältnis von Architektur und Mod. Mode, die inszenierte Darstellung des Zeitgeistes, differenziert, vereint oder grenzt ab. Ihre Inhalte wechseln und markieren die Grenzen zwischen dem Gestern und dem Morgen. Mode ist Gegenwart und im Vergleich zur Architektur ein schmales und flexibles Medium. Dabei ist die Konnotation modischer Kleidung, sowohl in der Ausdrucksebene als auch in der Inhaltsebene, weitaus positiver als die der modischen Architektur.
Und nicht erst heute, sondern schon seit langem sucht "Mode" und gerade die exklusive Mode zu ihrer Präsentation die passende architektonische Schutzhülle.
Die feinen Modelle von Knize hielten sich an Loos. Vico Magistretti, Gae Aulenti und Antonio Citterio entwarfen für Nino Cerrutti, während David Chipperfield der englischen Modeladenkette "Joseph" das passende Ambiente entwarf.
Im März dieses Jahres eröffnete der Wiener Modedesigner Helmut Lang sein Geschäft in der Wiener Seilergasse. Mit der Gestaltung wurde Gustav Pichelmann, der sich auch für den Ausbau der Münchner und Mailänder Filiale verantwortlich zeichnet, beauftragt. Doch im Unterschied zur modischen Variation durch gängiger Großglasfassaden ging Pichelmann bei der Gestaltung des Eingangsportals geradezu klassisch zurückhaltend und diskret vor. Zwei hochrechteckige Fenster umgeben die in einem Holzrahmen gefasste Glastür. Markisen schmücken die Situation, aber gleich einem Schal stören sie keineswegs die Substanz der historischen Fassade. So wird zwar schon dem vorbeigehenden Flaneur eine Idee des Besonderen vermittelt, aber der voyeuristische Einblick in den Geschäftsraum bleibt ihm verwehrt, denn dazu muss er schon den Laden betreten. Und dieser antwortet mit einer ebenso unaufdringlichen geradezu konservativen Sprache.
Gustav Pichelmann akzeptierte beim Umbau der ehemaligen Bankfiliale , deren L-förmiger Grundriss sich durch eine beachtliche Tiefe auszeichnet, die Anordnung der tragenden Pfeiler und nutzt sie als raumgliedernde Elemente. Sie rhythmisieren die Längsachse des Raumes.
Gustav Pichelmann hält sich an die Empfehlung, dass die Wand dem Architekten gehört. Hier finden sich die notwendigen Regale und Kleiderstangen. Eine Ausnahme und gleichzeitig das einzige im Raum befindliche Möbel ist eine große Theke, die sowohl als Tisch als auch als Kommode funktioniert. Das Farbkonzept reduziert sich auf die Nichtfarben Schwarz und Weiß. Dem fügt sich auch das zur Architektur gewordene schwarze Möbelstück mit seiner weißen "Marmorglasoberfläche". Die Anordnung der Theke im vorderen Teil des Geschäftes erzeugt eine Dynamik, die die Tiefe des Geschäftslokales betont und gleichzeitig den Raum in Funktionszonen splittet. So ist die gesamte linke Seite mit Herrenkleidung bestückt, während sich Damenkleidung auf der rechten Seite bzw. am Kopfende des Geschäftes findet. Die gereiht gehängten Designerentwürfe bekleiden die Wände, und dort, wo sie nicht verhüllen, übernehmen schwarz eingefärbte übermannsgroße MDF-Platten diese Aufgabe. Im hinteren Teil, ursprünglich ein Lichthof, zelebriert Pichelmann den Luxus der Leere. Das Szenario erinnert mit Blick auf die geschlitzten Helmut Lang Jacketts an Roland Barthes "Rhetorik der richtigen Lücke", eben jenes Phänomen, das exemplarisch für den "erotisme" in der Mode steht.
Die "Lücke" bietet Platz, und geschützt vor neugierigen Blicken aus dem Straßenraum wird hier probiert und ausgewählt. Wie auf einer Bühne, die durch eine lichtdurchflutete Glasdecke passend in Szene gesetzt wird, bewegt sich der Kunde. Sein Gegenüber kann erwählen, entweder ein Spiegel oder eine mit Marmorglas bekleidete Wand. Hinter dieser befinden sich luxuriöse Umkleidekabinen, die so großzügig bemessen sind, dass auch leicht zwei Personen unterkommen können.
Gustav Pichelmann präsentiert hier eine gelungenen Osmose zwischen Form und Inhalt, die aus seiner Affinität zur Wiener Architekturtradition kein Geheimnis macht.
Architektur & Bauforum / Jänner/Februar 1997 / Claudia Orben