Villa B., Israel Herzliya, Wiener Zeichen, Deutsche BauZeitschrift, Enrico Santifaller 2000

Enrico Santifaller / Deutsche BauZeitschrift / Juni 2000

Das Einfamilienhaus in einem vornehmen Strandbad Israels folgt dem undogmatischen Weg der Wiener Moderne. Sein Mittelpunkt ist eine Treppe, um die sich nicht nur alle räume scharen, sondern die zusätzlich als Lichtfilter, Möbel und Stauraum dient.

Herzliya, schreibt der Reiseführer, gilt als das Hollywood Israels. Im Roman "Sokolovs Universum" des niederländischen Schriftstellers jüdischer Herkunft Leon de Winter erscheint das Städtchen als "europäische Enklave", die vor allem von Millionären, Filmsternchen und gebräunten Badenixen bewohnt wird. Beides stimmt so ungefähr. Herzliya, benannt nach dem Begründer des politischen Zionismus, des Wiener Feuilletonisten Theodor Herzl, liegt ein Handvoll Kilometer nördlich von Tel Aviv am Mittelmeer und ist durch Lage und Topographie zu einer Mischung aus sudeuropäischen Strandbad und amerikanischer Schlafstadt der Vornehmen und Reichen von Israels Wirtschaftsmetropole geworden. Wie so oft, beweist sich auch im heiligen Land, dass viel Geld nicht immer mit entsprechend gutem Geschmack gepaart ist. Am Rande breiter Straßen wachsen hinter hohen Mauern Kopien von Palästen aller Jahrhunderte und Weltgegenden empor, eine Art globalisierter Baukitsch verflochten mit den Sicherheitsbedürfnissen eines Landes, dessen Realität immer noch ein Krieg beherrscht.

Tradition bedeuten in Israel mehr als immer Verwicklungen, Parteinahme für die eine oder andere Ideologie. Unverfängliches Anknüpfen ist de facto unmöglich. Die Villa B. in Herzliya erinnert nur wenig an jenen International Style, der heute noch viele Straßenzüge und Plätze in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem prägt. Was freilich in den 20er und 30er Jahren eine architektonisch Metapher für den Elan hoffnungsvoller Immigranten und die zionistische Utopie darstellte, ist heute baufällig. die geschwungenen Fassaden und die leichten Flugdächer der "Weißen Stadt" Tel Aviv haben sich offensichtlich wenig bewährt. Die weit auskragenden Balkone und Loggien mit denen eingewanderte Architekten versuchten, die Bauhaus-Moderne dem extremen Klima zwischen Küste und Wüste anzupassen, wurden mit groben Fensterelementen geschlossen bzw. umgebaut ohne Rücksicht auf die entstellende Wirkung. Und das originäre Weiß ist heute im verkehrsreichen Tel Aviv schmutzig grau.

Die Villa B. erstrahlt dagegen in blendendem Weiß. Ihr Architekt, der Wiener Gustav Pichelmann, hat aber auf sämtliche regionalen Anverwandlungen verzichtet. Der strenge Kubus ruft wohl nicht unbeabsichtigt, Assoziationen an Gebäude von Adolf Loos und Josef Frank sowie an die Villa von Paul Engelmann und Ludwig Wittgenstein in der Wiener Kundmanngasse hervor. Klassische Proportionen, feine Linien, klar geschnittene Kuben, Zurückhaltung bei der Gliederung der Fassaden: Der Architekt konnte sich auf die Sonne verlassen, die gut 300 Tage im Jahre scheint und ein reiches, dabei geometrisch genaues Schattenspiel von Bäumen, Fensterläden, selbst von winzigen Scharnieren auf die weißen Wände wirft. Eine reizvolle Aufgabe auch, Le Corbusiers "Spiel der stereometrischen Formen unter freiem Himmel" einmal am mediterranen Ort zu realisieren. Pichelmann hat allerdings im Unterschied zu seinen Vorgängern vor 70 Jahren erkannt, dass es die klimatischen Bedingungen Israels nicht notwendig machen, Licht und Sonne mittels großer Öffnungen in der Fassade einzufangen. Außer bei der Nordseite sind die Lochfassaden gemäß mediterraner Bauweise relativ geschlossen, zusätzlich sorgen Fensterläden aus Aluminium , das weniger heiß wird als anderes Metall, für fast völlige Verdunkelung. Die wenigen Öffnungen wie auch den offenen Grundriss schnitt der Architekt exakt auf die Lebensweise der Familie seines Bauherrn zu, der im Zuge der Verhaiderung Österreichs sich einen zweiten Wohnsicht außerhalb der Alpenrepublick schaffen wollte. So ist das ungemein großzügige wie warme Entree des Hauses nicht nur geeignet für glanzvolle Auftritte von Gästen vorzugsweise am späten Nachmittag bzw. frühen Abend, sondern wird auch noch von Westen durch ein großes Fenster belichtet. Geschickte und akkurat geschnittene Einbauten – etwa kleine Fächer für Schlüssel in den Stützen oder zwei kleine Bänke bei den Stufen zwischen Vestibül und Küche, erhöhen nicht nur den Gebrauchswert, sondern verleihen der ganzen Atmosphäre dieses Entrees einen sehr sympathischen Zug. Auf der anderen Seite im Osten dagegen, beim Anbau für die Bibliothek, versinken die Fenster in tiefen Mauerlaibungen; empfindliche Bücher werden dadurch vor schädigenden Sonnenstrahlen geschützt.

"Ein gut organisiertes Haus ist wie eine Stadt anzulegen, mit Straßen und Wegen, die zwangsläufig zu Plätzen führen." Das schrieb Josef Frank, laut Otto Kapfinger "Pionier einer undogmatischen Moderne", im Jahre 1931. Die Treppe (österreichisch: Stiege) war für Frank, der in den späten 20er Jahren Loos als bedeutendster Architekt Wiens und Österreichs abgelöst hatte und 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft nach Schweden emigrierte, das zentrale Element. "Sie muss so geführt werden, dass man bis zu ihr und auf ihr niemals das Gefühl hat, einen Weg hin und zurück machen zu müssen." Betritt man die Villa B., steigt auf der Treppe zu den verschiedenen Ebenen bis zur Dachterrasse , glaubt man, sich in einer Reinkarnation von Franks gut organisiertem haus zu befinden. Die eigentliche Mitte der Villa ist die Treppe. Sie weitet und verengt sich, sie öffnet sich zu Plätzen, um sie sind alle Räume gruppiert. Ihre zentrale Funktion wird dadurch betont, dass sie als eine Art Lichtfilter dient, welcher das Licht vom übereck-verglasten Treppenhauskopf bis in den Keller führt. Darüber hinaus dient sie als Möbel und Stauraum.

Das Erdgeschoss beherbergt eher öffentliche Bereich wie das erwähnte Entree, den Ess- und Wohnraum sowie die große Küche und den Lagerraum, die von einem eigenen Eingang, der sich hinter einer Mauer verbirgt, bedient werden können. Ein relativ schmaler Eingang der Treppe wirkt gleichsam als Schwelle und verdeutlicht den Unterschied von öffentlichem und privatem Bereich. Auf der ersten Ebenen befindet sich gewissermaßen als haböffentlicher Raum das offene Fernsehzimmer der Familie. Steigt man die Treppe weiter, kommt man zu den einzelnen Privaträumen, der autarken Appartments mit jeweils eigenen Sanitär- und Umkleideräumen gleichen. Ein kleines Detail – weißgestrichene Holztüren zu den Privaträumen, während sonst überall im Haus das Holz unbehandelt ist – unterstreicht wieder den Unterschied zwischen den verschieden Sphären, Einbaumöbel und Raumteilungen aus edeln Hölzern, Waschtische aus Marmor und zahlreiche als Ablagemöglichkeit fungierende Maueraussparungen – Möbel, die laut Loos "nicht als Möbel wirken dürfen" – schaffen exklusiven Raum für die Familienmitglieder und die wenigen notwendigen Möbel an denen vielleicht ihr Herz hängt.

Auch die Dachterrasse hat ihre sensible Behandlung durch den Architekten erfahren. Die Brüstung ist so hoch, dass sie Intimität gewährt, dennoch gewährt sie Ausblicke auf das nahe Meer im Westen. ein kleines Wasserbecken, in dem sich die Untersicht der mit vorpatiniertem Kupfer verkleideten Pergola spiegelt, erinnert mit seinem dunkelvioletten Steinboden an das Bett eines Flusses, der zum Meer führt. Wer mit israelischer Geschichte vertraut ist, welche die Kämpfe um die Staatsgründung verarbeitet haben, weiß um die Bedeutung von Flussbetten.

Ein schönes Haus. Ein Haus, das Beziehung zur natürlichen Umgebung schafft, soweit es im heißen Israel erträglich ist. ein Haus aber auch, das seine hohe Funktionalität der intimen Kenntnis des Architekten mit der Lebensweise seines Bauherrn verdankt. Pichelmann hat in diesem Haus den Wiener – undogmatischen – Weg der Moderne verarbeitet und ihn für einen Wiener in eine Stadt gebracht, die nach einem anderen weitaus bedeutenderen Wiener benannt ist. In Wien, erinnert Friedrich Achleitner immer wieder, funktionieren die großen Wahrheiten nicht, man sucht sein Heil im kleinen. ein Wiener Haus in Israels Hollywood mag ein kleines Zeichen setzen.

Enrico Santifaller / Deutsche BauZeitschrift / Juni 2000